GLR | 20.3.2010
Regie: Sidney Lumet
USA 1957
Einer der besten und menschlich beeindruckendsten Filme der Filmgeschichte. Umso mehr, als hier kein übermäßiger technischen Aufwand getrieben wird, sondern die Handlung ist fast ausschließlich auf zwölf Männer beschränkt, die in einem Raum sitzen. Während in unserer heutigen dekadenten und überreizten Zeit versucht wird, mit künstlichen Mitteln, die Millionen und Milliarden kosten, immer noch mehr Spannung ("Action") und Ablenkung zu erzielen, während die menschliche Dimension fast immer auf dieselben altbekannten und platten Klischees hinausläuft, erwächst die Spannung bei diesem Streifen allein aus der seelischen Dramaturgie der Darsteller und ihrer wechselseitigen Reaktionen.
Man kann den Film als perfektes '''Gleichnis für menschliche Vorurteile und Voreingenommenheiten''' verstehen. Vorurteile regieren den Alltag, werden in der Regel aber nicht weiter untersucht und entlarvt, sondern von einer kulissenhaften, auf Schönfärberei und Beschwichtigung erpichten Moral übertüncht. Hier jedoch bringt die Verpflichtung der Geschworenen, eine einstimmige Entscheidung über Leben und Tod des Angeklagten zu treffen (und vorher nicht weggehen zu dürfen), eine unerwartete Dynamik ins Geschehen. Mit ihr beginnen dann auch die individuellen Selbstbilder (Egos) der Protagonisten nach und nach ihr wahres Gesicht zu zeigen. Das ist besser als jede nach irgendeiner psychologischen Lehre praktizierte, gewollte Therapie, denn es passiert völlig spontan. Die Vorurteile sind (wie Wilhelm Reich sehr schön untersucht und beschrieben hat) zugleich blockierte Lebenskraft, und mit der Entblockierung beginnen sich die aufgestauten Ressentiments zu lösen und drücken sich ungeachtet der vorher noch dominierenden moralischen Konditionierung vehement aus. (Daher auch der ursprüngliche Titel des Films auf englisch: ''"12 Angry Men"'')
Mit dieser Offenbarung geschieht noch etwas, das den Film besonders adelt: Auch der Zuschauer wird in diesen Prozeß hineingenommen, ja geradezu hineingesaugt; es ist ihm, sofern er emotional nicht völlig verschlossen bleibt, unmöglich, selbst in einer Verfassung des Urteilens und Kritisierens zu verharren. Selbst wenn er sich mit einzelnen Figuren und deren Vorurteilen identifiziert, wird er nach und nach erleben, wie er damit ins Schwimmen kommt und zur Überprüfung seiner eigenen Voreingenommenheit genötigt wird.
Am Ende steht deshalb auch nicht das — von gewöhnlicheren Filmen allzu bekannte — Gefühl des Triumphes (von Siegern über Besiegte, oft nach gewalttätigem Kampf: der Gute tötet den Bösen, und das Happy-end ist gesichert). Stattdessen löst sich die Spannung in eine sehr subtile, zarte Stimmung von Bescheidenheit und Demut auf. Auch das Wetter, vorher noch schwül-heiß, drückend und unerträglich, entlädt sich in einem wohltuenden Wolkenbruch. Am Schluß verläßt die Kamera das kleine Zimmer; der Blick weitet sich auf den Vorplatz und die Umgebung; und die Teilnehmer der kathartischen Begegnung zerstreuen sich in der Weite.
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